Bei dem aufkommenden Machtkampf der Suchmaschinen muss berücksichtigt wer-den, dass Google dem sogenannten Innovatoren-Dilemma ausgesetzt ist. Die Such-maschine ist die Basisinnovation und Zugpferd des Google-Werbegeschäftes. Bei den digitalen Transformationen heißt es immer so leicht „zerstöre dich selber, bevor es an-dere tun“. Das ist natürlich nicht so leicht, wenn man praktisch sein originäres Ge-schäftsmodell selber infrage stellen muss, mit dem man über 80 % des Umsatzes er-zielt. Zudem verfolgt Google seit je her das Leistungsversprechen, mit intelligenten Algorithmen und Indizierungen möglichst belastbare und glaubwürdige Seiten auf-findbar zu machen. Auch wenn zum Teil die starke Werbedurchdringung etwas nervig erscheint, so erfüllt Google dieses Leistungsversprechen doch sehr verlässlich.
Dagegen ist die Stärke von Sprachmodellen nicht unbedingt belastbare Quellen zu liefern, sondern natürlichsprachlich im jeweiligen Kontext Antworten zu generieren, aber eben nicht mit der Garantie, dass diese Quellen wirklich qualitätsgesichert be-lastbar sind – man hat ja auch bei ChatGPT überhaupt keine Quellenangaben. Diese den Sprachmodellen immanente Qualitätsunsicherheit widerspricht dem Google-Prinzip EAT (Expertise – Authoritativeness – Trustworthiness). Dies mag auch der Grund gewesen sein, dass Google trotz immenser KI-Expertise und dem mächtigen – und im Vergleich zu ChatGPT größeren – Sprachmodell LaMDA (Language Model for Dialogue Applications) zögerlich war, eine entsprechende Conversational AI-Lösung als Dialogsystem für den Massenmarkt zugänglich zu machen.
Sicherlich werden Chat-Frageschlitze den klassischen Suchschlitz ergänzen. Und na-türlich ist es bequemer, seine Frage natürlich sprachlich stellen zu können, um dann eine wohlformulierte Antwort am Stück zu bekommen, die ein Navigieren durch Google-Trefferlisten obsolet macht.
Letztlich muss sich aber der Anwender auf die gegebene Antwort verlassen, ohne hierfür hinreichende Qualitätsindikatoren angezeigt zu bekommen. Wenn die Qualität und Belastbarkeit eines Anliegens besonders wichtig ist, werden Sprachmodelle allei-ne nicht ausreichen. Das Navigieren durch einen Google-Lösungsraum kann hier zusätzliche Sicherheit bieten.
Zum anderen ist der jeweilige „Intent“ (Nutzerabsicht) entscheidend: Bei Transaktions-Intents suchen Konsumenten Produkte und Dienstleistungen, bei Navigations-Intents geht es darum, zum Beispiel herauszufinden wo man das Produkt besonders günstig kaufen kann. Hier ist die klassische Suche klar überlegen. Bei Informations-Intents geht es eher um die Bereitstellungen und Erklärung von Informationen.
Hier haben Modelle wie ChatGPT einen Vorteil, indem sie dem Anwender Erklärungen und Antworten geben, ohne dass sich der Anwender mühsam durch irgendwelche Ergebnislisten klicken und praktisch die Antwort selber konstruieren muss. In Anbetracht der Tatsache, dass die informationale Suche ca. 80% aller Anfragen ausmacht, wird schnell klar, dass es zu einer Verschiebung des Suchmarktes kommen wird.
Im Ergebnis wird sich ein hybrider Ansatz, der sowohl die klassische Suche als auch die natürlichsprachliche Konversation verbindet, durchsetzen. Zudem wird es auch zu einer werbemäßigen Nivellierung beider Ansätze kommen. Der Kommerzialisierungsdruck bei den Sprachmodell-basierten Ansätzen wird dazu führen, dass auch hier Werbebotschaften Einzug erhalten werden. Die ersten ChatGPT-Erweiterungen von Bing zeigen bereits exemplarisch Werbung.
Spannend wird noch die Frage der Skalierbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Foundation-Modellen als Ersatz oder Ergänzung zur klassischen Suche. Frage-Antwort-Dialoge müssen in Echtzeit stattfinden. Beim dem immensen Rechenaufwand von Sprachmodellen stellt sich die Frage, wie das wirtschaftlich abgebildet werden kann. Zudem gibt es auch noch kein klares Konzept wie das hybride Modell idealerweise aussieht. Wie lässt sich das Beste aus beinen Welten – Conversational AI und Suchmaschine – systematisch verbinden?
Der zunehmende Wettbewerb in diesem Markt ist letztlich eine gute Nachricht aus Konsumentensicht. Im Gegensatz zu dem monopolartigen Suchmaschinenmarkt der Vergangenheit werden zukünftig drei bis vier große Sprachmodelle am Markt sein, die neben der klassischen Suche intelligente Konversationen ermöglichen. Neben Google und OpenAI/ Microsoft ist noch mit Meta sowie einigen chinesischen Playern und ge-gebenenfalls auch europäischen Start-Ups zu rechnen.